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Wie das Kinderbilderbuch "Die Häschenschule" von Fritz Koch-Gotha und Albert Sixtus entstand. (verfasst von Albert Sixtus, Herbst 1956)
Ich bin oft gefragt worden "Wie verhält sich das eigentlich mit der "Häschenschule"? Haben Sie zuerst die Verse gemacht, die dann von Koch-Gotha illustriert wurden, oder ist es umgekehrt? Aus dem Titel des Buches kann man nämlich nicht ersehen, ob eins oder das andere zutrifft."
Ja, es war so, dass meine Verse zuerst vorhanden waren und dann von Koch-Gotha ihre genialen und lustigen Bilder erhielten, und ich hoffe zuversichtlich, dass mein verehrter Herr Verleger bei einer künftigen Neuauflage den Titel so formulieren wird, dass die erwähnte Unklarheit nicht mehr besteht.
Der Weg zur "Häschenschule" und überhaupt zu meiner Bilderbüchlerei und Jugendschriftstellerei führte über ein verschollenes Heinzelmännchenbuch.
Mein Bruder Walter – sieben Jahre älter als ich – hatte es zu Anfang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts geschenkt bekommen. Aber bei dem Umzug der Eltern in eine neue Wohnung ging es verloren, und wir jüngeren Geschwister mussten uns mit der Beschreibung der Bilder und mit einigen mündlich überlieferten Versen begnügen, die im Gedächtnis unserer lieben Mutter und des älteren Bruders haften geblieben waren.
Einige Zeilen weiß ich noch heute, z.B. diese:
Frosch, der stets auf Rache sann,
schoss gleich wütend auf ihn los. –
Heinzelmännchens Schreck war groß.
In dem Bilderbuch hatte der Maler (oder die Malerin?) die Heinzelmännchen bei den verschiedensten Beschäftigungen dargestellt: wie sie die unreifen Heidelbeeren mit blauer Farbe anstreichen, wie sie die Erdbeeren anzapfen und sich einen kleinen Rausch antrinken und dergleichen.
Eine Sehnsucht habe ich nach dem Buch gehabt, das lässt sich gar nicht beschreiben. Als kleiner Knirps - wir wohnten ums Jahr 1900 herum in dem sächsischen Bergstädtchen Stolpen - bin ich immer und immer wieder zum Schaufenster des Buchhändlers gelaufen, um nachzusehen, ob er‘s nicht mal ausstellt. Vergebliches Hoffen.
Ich bin nun an die 65 Jahre alt geworden, aber das Heinzelmännchenbuch habe ich nicht zu sehen bekommen. Die Eltern konnten sich später nicht mehr an den genauen Titel und an den Verlag erinnern. Auch die Namen von Maler und Dichter waren in Vergessenheit geraten. Alle meine Nachfragen in späteren Jahren bei Sortimentern und Antiquariaten blieben leider erfolglos. Möglicherweise ist das Buch gar nicht so schön, wie ich mir’s in der Phantasie vorgestellt habe... Trotzdem, ich hätte große Freude, wenn ich’s doch noch eines Tages entdeckte.
(Möglicherweise ist die Verfasserin Frau Emma Wuttke-Biller: "Im Reiche der Heinzelmännchen", erschienen 1883.)
Sobald ich einen Bleistift halten konnte, fing ich an zu zeichnen: Heinzelmännchen, Heinzelmännchen, Heinzelmännchen. Ein ganzes Heinzelmännchenbuch stellt ich mir selber zusammen. Als ich Lesen und Schreiben gelernt hatte, fügte ich die erhalten gebliebenen Verse ein, erweiterte und verbesserte sie. 10 Jahre war ich alt – wir wohnten damals in Reichenau bei Zittau in Sachsen – da erwischte unser guter Oberlehrer Albert Wagner während der Stunde meine Heinzelmännchenbilder, an denen ich heimlich herumgepinselt hatte. Er nahm sie mit ins Lehrerzimmer, überreichte sie mir nach der Pause lächelnden Gesichts und sprach die geflügelten Worte:
„Der Sixtus ist an Künsten reich,
ein Maler und Dichter zugleich!“
Er hatte es nicht schlimm gemeint, der Gute. Aber die feixenden Visagen meiner Kameraden und ihre Hänseleien verdarben mir die Freude an der Bilderbüchlerei so gründlich, dass ich zwanzig Jahre brauchte, ehe ich zu meiner alten Jugendliebe zurückkehrte.
In diesen zwanzig Jahren erlebte ich allerhand: ich wurde Lehrer, heiratete, wurde von meiner Frau mit einem hübschen Jungen beschenkt, musste in den ersten Weltkrieg ziehen und stand vor Verdun und an anderen Frontabschnitten, wo es nicht viel besser war. Im April 1918 bei Couzy-le-chateau durch Granatsplitter - Steckschuss in Niere, Lunge und Leber auf den Tod verwundet, kam ich erstaunlicherweise noch einmal mit dem Leben davon.
Richtig gesund bin ich allerdings seitdem nie wieder gewesen. Jahr für Jahr warfen mich die Verwundungsfolgen aufs Krankenlager.
Viele meiner Verse und Geschichten sind bei hohem Fieber entstanden. Noch 1955 - nach 37 Jahren - wurde ein großer Granatsplitter ausgeschieden, der in der Leber gesteckt und mich auf seiner langen Wanderung bös zugerichtet hatte.
Als junger Dachs zwischen Siebzehn und Zwanzig hatte ich, wie so viele meiner damaligen Altersgenossen, für Schopenhauer und Nietzsche geschwärmt und eine Menge teils weltschmerzlicher, teils hochtrabender und überspannter Gedichte verbrochen. Ein Glück, dass das Zeug nie gedruckt wurde! Jetzt pfefferte ich, durch die Erlebnisse des Krieges gewandelt, den Pessimisten und den Übermenschen in die Ecke und beschloss, nur noch meiner Familie zu leben, solange mir das noch vergönnt wäre.
Von Hasen gibt es nicht sehr viele Märchen. Die paar Geschichten und Gedichte sind bald erzählt. Woher nimmt man neue, wenn die selbsterfundenen nicht mehr ausreichen? -
Da besuchte uns im Jahre 1921 die Schwester meiner Frau, meine junge Schwägerin Martha, genannt Martl. Martl hat - wie meine liebe Frau - eine kindlich – märchenfrohe Seele. Für unseren Märchenprinzen Wolfgang begann, als Martl bei uns weilte, eine goldene Zeit. Schon in der Morgendämmerung holte er das Tantchen aus dem Gastzimmer in sein Bett herüber, und dann begannen die wunderbarsten, aufregendsten Hasenspiele. Meine Frau war die Hasenmutter, Wolfgang das Hasenkind, Martl der Hasenlehrer und ich der böse, böse Rotfuchs, der fürchterlich bellen und fauchen konnte. Herrliche Hasengeschichten sind damals erdacht und mimisch dargestellt worden. Ich sehe es noch wie heute, wenn unser Junge die Zeigefinger an die kleinen Ohren hielt und wie ein Hase damit wackelte, sobald der Rotfuchs ein verdächtiges Knurren hören ließ.
Dieses Hasentheater muss wohl stark in mir nachgewirkt haben, denn ein Jahr später – am 30.April 1922, einem Sonntag – schrieb ich in später Nachtstunde meine ersten Kinderverse nieder und gab ihnen den Titel „Die Häschenschule“. Die Verse purzelten mit nur so aus der Feder. Alles rundete sich wie von selbst zu einem Ganzen.
Ich hatte, als das Gedicht um Mitternacht fertig vor mir lag, das Gefühl, dass man als Verfasser leider nur so selten hat:
Diesmal ist dir wirklich etwas gelungen! Meine Frau erwachte, als ich das Schlafzimmer betrat, und ich Barbar las ihr natürlich sofort das ganze Hasengedicht vor. „Gut, gut! Fein, fein!“ sagte sie. „Das lass mal drucken! Wie wird sich Wolfgang morgen freuen!“
Die Verse entstanden in nur einer Nacht vom 30.4. zum 1.5.1922, Fritz Koch-Gotha schuf 1923 die Illustrationen. 1924 erschien das Buch bei Alfred Hahn in Leipzig und war binnen kurzer Zeit über 200.000 mal verkauft. Bis 1943 kletterte die Auflage auf 388.000 und bis heute auf über 1 Million.
Die Originalzeichnungen und Druckplatten wurden während des 2.Weltkrieges 1944 vernichtet. Fritz Koch-Gotha zeichnete 1944/45 neue Bilder, die nach Kriegsende verwendet wurden (s.u. Globus 1949). An den neuen Entwürfen wirkte auch der Leipziger Grafiker Kurt Wasser durch Anfertigung der Konturpausen nach vorhandenen Drucken mit. Ab ca. 1949 wurde der Stock des Lehrers weggelassen (s.Pfeil). Ebenso wurde eine Szene im Schulgarten umgestaltet. Aus Blumenbeeten wurden Salat-/Kohlbeete.